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Kurzverzeichnis der 35 in dieser Ausgabe enthaltenen Schriften:

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Die Stufen der

höheren Erkenntnis

Die Stufen der höheren Erkenntnis.

Als Zwischenbetrachtung zu dem Artikel:

»Wie erlangt man Erkenntnis höherer Welten?«

 

Von Dr. Rudolf Steiner.

(Fortsetzung.)

SE, 233-237

 

Man muß zunächst den Schlafzustand betrachten, wenn man Aufschluß erlangen will über die imaginative Erkenntnis. Solange der Mensch keine höhere Erkenntnisstufe erlangt hat als die materielle, lebt die Seele zwar während des Schlafes, aber sie kann in der Welt, in welcher sie schlafend lebt, nichts wahrnehmen. Sie ist in dieser Welt wie ein Blinder in der materiellen. Ein solcher lebt in der Welt des Lichtes und der Farben; aber er nimmt sie nicht wahr. – Von den äußeren Sinnesorganen, dem Auge, dem Ohr, der gewöhnlichen Gehirntätigkeit usw. hat sich die Seele im Schlafe zurückgezogen. Sie erhält durch die Sinne keine Eindrücke. Was tut sie nun während des Schlafes? Klar muß man sich darüber sein, daß die Seele während des Wachens in einer fortwährenden Tätigkeit ist. Sie empfängt die äußeren Sinneseindrücke und verarbeitet sie: das ist ihre Tätigkeit. Diese stellt sie während des Schlafes ein. Aber sie ist keineswegs untätig. Sie arbeitet schlafend an dem eigenen Leibe. Dieser wird ja während der wachen Tagesarbeit abgenützt. Das drückt sich in der Ermüdung aus. Und während des Schlafes beschäftigt sich die Seele mit dem eigenen Leib, um ihn für weitere wache Tagesarbeit wieder geeignet zu machen. Man sieht daraus, wie wesentlich der richtige Schlaf dem Gedeihen des Leibes ist. Ein Mensch, der nicht entsprechend schläft, läßt seine Seele an dem Leibe nicht die notwendige Verbesserungsarbeit tun. – Und die Folge davon muß sein, daß der Leib herunterkommt. – Die Kräfte, mit denen die Seele während des Schlafes am Leibe arbeitet, sind dieselben, durch welche sie auch im Wachzustande tätig ist. Nur werden sie in dem letzteren dazu verwendet, die Eindrücke der äußeren Sinne aufzunehmen und sie zu verarbeiten.

Tritt nun die imaginative Erkenntnis beim Menschen ein, so muß ein Teil der im Schlafe auf den Leib gewendeten Kräfte in einer anderen Art verbraucht werden. Durch diese Kräfte werden nunmehr die geistigen Sinnesorgane gebildet, die es ermöglichen, daß die Seele in einer höheren Welt nicht bloß lebt, sondern auch wahrnimmt. So arbeitet die Seele schlafend an sich, nicht mehr bloß an ihrem Leibe. Bewirkt wird diese Arbeit durch die Meditation und Konzentration, sowie durch andere Uebungen. Es ist schon öfters in diesen Aufsätzen über höhere Erkenntnis gesagt worden, daß die besonderen Anweisungen über solche Uebungen nur von Mensch zu Mensch gegeben werden. Niemand sollte auf eigene Hand diese Uebungen unternehmen. Denn nur wer Erfahrung auf diesem Gebiete hat, kann ermessen, welche Wirkung bei dem einen oder dem anderen Menschen sich einstellen muß, wenn er es unternimmt, seine Seelenarbeit von dem Leibe abzuziehen und in einer höheren Art anzuwenden.

Meditation, Konzentration und andere Uebungen bewirken, daß die Seele sich für eine Weile zurückzieht von ihrer Verbindung mit den Sinnesorganen. Sie ist dann in sich selbst versenkt. Ihre Tätigkeit ist nach innen gewendet. Im Anfange dieser Versenkung unterscheidet sich zwar diese ihre innere |234 Tätigkeit nicht erheblich von der alltäglichen. Sie muß dieselben Vorstellungen, Gefühle und Empfindungen verwenden während der Innenarbeit, welche sie auch im gewöhnlichen Leben hat. Je mehr sie sich aber daran gewöhnt, gewissermaßen »blind und taub« gegenüber der sinnlichen Umgebung zu sein, je mehr sie in sich lebt, desto fähiger macht sie sich zu innerer Leistung. Und was sie bei der Versenkung in das Innere geleistet hat, das trägt seine Früchte zunächst im Zustande des Schlafes. Ist die Seele des Nachts vom Leibe befreit, so wirkt das in ihr fort, was durch die Uebungen am Tage angeregt worden ist. Es bilden sich in ihr Organe, durch welche sie mit einer höheren Umgebung gerade so in Verbindung kommt wie vorher durch die äußeren Sinnesorgane mit der körperlichen Umwelt. Aus dem Dunkel der nächtlichen Umgebung treten die Lichterscheinungen der höheren Welt heraus. Zart und intim ist dieser Verkehr zunächst. Und der Mensch muß durchaus damit rechnen, daß für eine lange Zeit beim Aufwachen das Licht des Tages sofort wieder einen dichten Vorhang zieht vor die Erlebnisse der Nacht. Die Erinnerung, daß man in der Nacht wahrgenommen hat, tritt nur ganz langsam und allmählich ein. Denn der Schüler lernt nicht leicht auf die zarten Gebilde seiner Seele achten, die sich im Laufe seiner Entwickelung hineinmischen in die groben Erlebnisse des alltäglichen Sinnenlebens. Anfangs erscheinen ihm solche Gebilde wie das, was man zufällige Eindrücke der Seele nennt. Alles kommt darauf an, daß er unterscheiden lernt, was er der gewöhnlichen Welt verdankt von dem, was durch seine eigene Wesenheit als Kundgebung höherer Welten sich darstellt. In einem stillen, in sich gekehrten Gemütsleben muß er sich diese Unterscheidung aneignen. Es ist notwendig, daß er sich erst ein Gefühl davon erwerbe, welches der Wert und die Bedeutung der intimen Seelengebilde ist, die wie »zufällige Einfälle« sich in das Tagesleben einmischen und welche doch Erinnerungen an den nächtlichen Verkehr in einer höheren Welt sind. Sobald man diese Dinge irgendwie grob anfaßt und sie mit dem Maßstab des Sinnenlebens mißt, zerstieben sie.

Es ist aus obigem ersichtlich, daß durch die Arbeit in einer höheren Welt die Seele dem Leibe etwas von ihrer sonst fürsorglichen Tätigkeit entziehen muß. Sie überläßt denselben in einer gewissen Beziehung sich selbst. Er braucht einen Ersatz für das, was sie ihm vorher geleistet hat. Erhält er einen solchen Ersatz nicht, so kommt er in die Gefahr, verderblichen Kräften zu verfallen. Man muß sich nämlich darüber klar sein, daß der Mensch fortwährend den Einflüssen seiner Umgebung ausgesetzt ist. Er lebt ja nur durch die Einwirkungen dieser Umgebung. Zunächst kommen innerhalb der Umgebung die Reiche der sichtbaren Natur in Betracht. Der Mensch gehört dieser sichtbaren Natur an. Gäbe es um ihn herum nicht das Mineral-, Pflanzen-, Tierreich, und dasjenige der anderen Menschen: er könnte nicht leben. Man denke sich den Menschen von der Erde hinweggehoben in den Weltenraum hinaus, er müsste als physischer Mensch sogleich zugrunde gehen, wie die Hand verdorrt, wenn man sie vom Leibe trennt. So stark die Illusion wäre, deren sich die menschliche Hand schuldig machte, wenn sie glaubte, sie könne ohne den Leib leben, so stark wäre auch die Täuschung, in welche der Mensch verfiele, wenn er behauptete, er könne ohne das Mineral-, Tier-, Pflanzenreich und ohne die andern Menschen als physisches Wesen existieren. – Nun gibt es aber außer den genannten Reichen noch drei andere, die sich für gewöhnlich der menschlichen Aufmerksamkeit entziehen. Es sind die drei Elementarreiche. Sie stehen in einer gewissen Beziehung unter dem Mineralreiche. Es gibt Wesen, die es nicht bis zur mineralischen Verdichtung bringen, die aber deshalb nicht weniger da sind und ihre Wirkung auf den Menschen haben. (Man vergleiche über diese Elementarreiche, was in diesem Hefte über sie in dem Artikel |235 »Aus der Akasha-Chronik« gesagt ist, sowie die Bemerkungen darüber in meiner »Theosophie«.) Der Mensch ist somit Einflüssen aus Naturreichen ausgesetzt, die in einer gewissen Richtung unsichtbare genannt werden müssen. Wenn nun die Seele am Leibe arbeitet, so besteht ein wesentlicher Teil ihrer Tätigkeit darinnen, die Einflüsse der Elementarreiche so zu regeln, daß sie für den Menschen gedeihliche sind. – In dem Augenblicke nun, in dem die Seele ihre Tätigkeit zum Teil dem Leibe entzieht, können sich seiner verderbliche Kräfte aus den Elementarreichen bemächtigen. Darin besteht eine Gefahr der höheren Entwickelung. Es muß daher dafür gesorgt werden, daß, sobald sich die Seele vom Körper zurückzieht, er durch sich selbst nur guten Einflüssen von seiten der elementaren Welt zugänglich ist. – Wird darauf nicht geachtet, so verkommt der gewöhnliche Mensch in einer gewissen Beziehung physisch und auch moralisch, trotzdem er den Zugang zu höheren Welten gewinnt. Während die Seele in höheren Gebieten lebt, nisten sich im dichten physischen Leib und im Aetherleib schädliche Kräfte ein. Dies ist der Grund, warum gewisse schlechte Eigenschaften, die vor der höheren Entwickelung durch die ausgleichende Wirkung der Seele niedergehalten worden sind, bei Mangel an Vorsicht zum Ausdruck kommen können. Menschen, welche vorher gute, moralische Naturen waren, können unter solchen Umständen dann, wenn sie an höhere Welten herantreten, allerlei niedrige Neigungen, erhöhte Selbstsucht, Unwahrhaftigkeit, Rachsucht, Zorn usw. usw. hervorkehren. – Niemand darf von dieser Tatsache sich zurückschrecken lassen, in die höheren Welten aufzusteigen; aber vorgesorgt muß werden, daß solche Dinge nicht eintreten. Die niedere Natur des Menschen muß gefestet und unzugänglich gemacht werden gefährlichen elementarischen Einflüssen. Das eben geschieht durch die bewußte Ausbildung gewisser Tugenden. Diese Tugenden werden in den theosophischen Handbüchern, welche von geistiger Entwickelung handeln, angegeben. Hier aber hat man den Grund, warum auf sie Sorgfalt gelegt werden muß. Es sind die folgenden. Zuerst muß der Mensch in ganz bewußter Weise bei allen Dingen fortwährend darauf bedacht sein, das Bleibende, Unvergängliche von dem Vergänglichen abzusondern und auf das erstere seine Aufmerksamkeit richten. In jedem Dinge und Wesen kann der Mensch ein Etwas vermuten, oder erkennen, das bleibt, wenn die vergängliche Erscheinung entschwindet. Sehe ich eine Pflanze, dann kann ich sie zunächst betrachten, wie sie sich den Sinnen darbietet. Das soll man gewiß nicht versäumen. Und niemand wird das Ewige in den Dingen entdecken, der sich nicht zuerst mit dem Vergänglichen gründlich bekannt gemacht hat. Diejenigen, welche sich immer besorgt zeigen, daß dem Menschen, der den Blick auf das Geistig-Unvergängliche richtet, die »Frische und Natürlichkeit des Lebens« verloren gehe: sie wissen eben noch nicht, um was es sich dabei eigentlich handelt. Aber, wenn ich so die Pflanze anschaue, kann mir klar werden, daß in ihr ein bleibender Lebenstrieb ist, der in einer neuen zum Vorschein kommen werde, wenn die gegenwärtige Pflanze längst zerstoben sein wird. Solche Art, sich zu den Dingen zu stellen, muß man in die ganze Verfassung seines Gemütes aufnehmen. – Dann muß man sein Herz auf das Wertvolle, Gediegene heften und dieses höher schätzen lernen, als das vorübergehende, bedeutungslose. Man soll sich bei allen seinen Empfindungen und Handlungen den Wert vor Augen halten, den etwas im Zusammenhange eines Ganzen hat. – Zum dritten soll man sechs Eigenschaften in sich ausbilden: Kontrolle der Gedankenwelt, Kontrolle der Handlungen, Ertragsamkeit, Unbefangenheit, Vertrauen in die Umwelt und inneres Gleichgewicht. Kontrolle der Gedankenwelt erreicht man, wenn man sich bemüht, dem Irrlichtelieren der Gedanken und Empfindungen, die beim gewöhnlichen Menschen immer auf- und abwogen, entgegen zu arbeiten. |236 Im alltäglichen Leben ist der Mensch nicht der Führer seiner Gedanken; sondern er wird von ihnen getrieben. Das kann natürlich auch gar nicht anders sein. Denn das Leben treibt den Menschen. Und er muß als ein Wirkender sich diesem Treiben des Lebens überlassen. Während des gewöhnlichen Lebens wird das gar nicht anders sein können. Will man aber in eine höhere Welt aufsteigen, so muß man sich wenigstens ganz kurze Zeiten aussondern, in denen man sich zum Herrn seiner Gedanken- und Empfindungswelt macht. Man stellt da einen Gedanken aus völliger innerer Freiheit in den Mittelpunkt seiner Seele, während sich sonst die Vorstellungen von außen aufdrängen. Dann versucht man alle aufsteigenden Gedanken und Gefühle fernzuhalten und nur das mit dem ersten Gedanken zu verbinden, von dem man selbst will, daß es dazu gehöre. Eine solche Übung wirkt wohltätig auf die Seele und dadurch auch auf den Leib. Sie bringt den letzteren in eine solche harmonische Verfassung, daß er sich schädlichen Einflüssen entzieht, wenn die Seele auch nicht unmittelbar auf ihn wirkt. – Kontrolle der Handlungen besteht in einer ähnlichen Regelung derselben durch innere Freiheit. Man beginnt gut damit, daß man sich anschickt, irgend etwas regelmäßig zu tun, wozu man durch das gewöhnliche Leben nicht gekommen wäre. In dem letzteren wird ja der Mensch von außen zu seinen Handlungen getrieben. Die kleinste Tat aber, die man aus der ureigensten Initiative heraus unternimmt, wirkt in der angegebenen Richtung mehr als alles, wozu man vom äußeren Leben gedrängt wird. – Ertragsamkeit ist das Entfernthalten von jener Stimmung, die man bezeichnen kann mit dem Wechsel zwischen »Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt«. Der Mensch wird hin- und hergetrieben zwischen allen möglichen Stimmungen. Die Lust macht ihn froh, der Schmerz drückt ihn herab. Das hat seine Berechtigung. Wer aber den Weg sucht zu höherer Erkenntnis, der muß sich in der Lust und auch im Schmerze mäßigen können. Er muß »ertragsam« werden. Maßvoll muß er sich den lusterregenden Eindrücken hingeben können, und auch den schmerzlichen Erlebnissen: immer durch beides mit Würde hindurchschreiten. Von nichts sich übermannen, außer Fassung bringen lassen. Das begründet nicht Gefühllosigkeit, sondern macht den Menschen zum festen Mittelpunkt innerhalb der Lebenswellen, die rings um ihn auf- und niedersteigen. Er hat sich stets in der Hand.

Eine ganz besonders wichtige Eigenschaft ist der »Sinn für die Bejahung«. Es kann ihn derjenige bei sich entwickeln, welcher das Augenmerk in allen Dingen auf die guten, schönen und zweckvollen Eigenheiten richtet und nicht in erster Linie auf das tadelnswerte, häßliche und widerspruchsvolle. Es gibt eine schöne, in der persischen Dichtung vorhandene Legende von Christus, die zur Anschauung bringt, was mit dieser Eigenschaft gemeint ist: Ein toter Hund liegt an einem Wege. Unter den an ihm vorübergehenden ist auch Christus. Alle andern wenden sich ab von dem häßlichen Anblick, den das Tier bietet; nur Christus spricht bewundernd von den schönen Zähnen des Tieres. So kann man den Dingen gegenüber empfinden; in allem, auch dem widrigsten, mag sich für den, welcher ernstlich sucht, etwas Anerkennenswertes finden. Und das fruchtbare an den Dingen ist ja nicht, was ihnen fehlt, sondern dasjenige, was sie haben. – Weiter ist bedeutsam, die Eigenschaft der »Unbefangenheit« zu entwickeln. Ein jeder Mensch hat ja seine Erfahrungen gemacht und sich dadurch eine bestimmte Menge von Meinungen gebildet, die ihm dann im Leben zur Richtschnur werden. So selbstverständlich es auf der einen Seite ist, sich nach seinen Erfahrungen zu richten, so wichtig ist es für den, welcher eine geistige Entwickelung zur höheren Erkenntnis hin durchmachen will, daß er sich stets den Blick frei erhält für alles neue, ihm noch unbekannte, das ihm entgegentritt. |237 Er wird so vorsichtig wie irgend möglich sein mit dem Urteil: »das ist unmöglich«, »das kann ja gar nicht sein«. Mag ihm seine Meinung nach den bisherigen Erfahrungen was immer sagen: er ist in jedem Augenblick bereit, sich von etwas neuem, das ihm entgegenkommt, zu einer anderen Meinung bringen zu lassen. Jede Eigenliebe der Meinung gegenüber muß schwinden. – Wenn die bisher genannten fünf Eigenschaften von der Seele erworben sind, dann stellt sich eine sechste ganz von selbst ein: das innere Gleichgewicht, die Harmonie der geistigen Kräfte. Der Mensch muß etwas in sich finden wie einen geistigen Schwerpunkt, der ihm Festigkeit und Sicherheit gibt gegenüber allem, was im Leben da- oder dorthin zieht. Man muß nicht etwa vermeiden, mit allem mitzuleben, alles auf sich wirken zu lassen. Nicht die Flucht vor den hin- und widerziehenden Tatsachen des Lebens ist das richtige, sondern im Gegenteil: das volle Hingeben an das Leben und trotzdem die sichere, feste Bewahrung von innerem Gleichgewicht und Harmonie.

Endlich kommt für den Suchenden der »Wille zur Freiheit« in Betracht. Es hat ihn jemand, der zu allem, was er vollbringt, die Stütze und Grundlage in sich selbst findet. Er ist deshalb so schwer zu erringen, weil taktvoll der Ausgleich notwendig ist zwischen dem Oeffnen des Sinnes gegenüber allem Großen und Guten, und der gleichzeitigen Ablehnung eines jeglichen Zwanges. Man sagt so leicht: Einwirkung von außen und Freiheit vertragen sich nicht. Daß sie sich in der Seele vertragen: darauf kommt es aber gerade an. Wenn mir jemand etwas mitteilt, und ich nehme es unter dem Zwange seiner Autorität an: dann bin ich unfrei. Aber ich bin nicht minder unfrei, wenn ich mich verschließe vor dem Guten, das ich auf diese Art empfangen kann. Denn dann übt in der eigenen Seele das Schlechtere, das ich habe, auf mich einen Zwang aus. Und bei der Freiheit kommt es nicht allein darauf an, daß ich nicht unter dem Zwange einer äußeren Autorität stehe, sondern vor allen Dingen auch nicht unter derjenigen eigener Vorurteile, Meinungen, Empfindungen und Gefühle. Nicht blinde Unterwerfung unter das Empfangene ist das Richtige, sondern sich von ihm anregen lassen, es ganz unbefangen aufnehmen, um sich »frei« dazu zu bekennen. Eine fremde Autorität soll nicht anders als so wirken, daß man sich sagt: ich mache mich gerade dadurch frei, daß ich ihrem Guten folge, d. h. es zu dem meinigen mache. Und eine auf der Geheimwissenschaft fußende Autorität will auch gar nicht anders als in dieser Art wirken. Sie gibt, was sie zu geben hat, nicht um selbst Macht über den Beschenkten zu gewinnen, sondern allein darum, daß der Beschenkte durch die Gabe reicher und freier werde.

Es ist auf die Bedeutung der angeführten Eigenschaften schon in den Heften 21 und 22 bei Besprechung der »Lotusblumen« hingewiesen worden. Dort wurde gezeigt, welche Beziehung sie zu der Entwickelung der zwölfblätterigen Lotusblume in der Herzgegend und der daran sich schließenden Strömungen des Aetherkörpers haben. Aus dem jetzt gesagten ist ersichtlich, daß sie im wesentlichen die Aufgabe haben, dem physischen Körper des Suchenden jene Kräfte entbehrlich zu machen, die ihm sonst während des Schlafzustandes zugute kommen, und die ihm wegen der Ausbildung entzogen werden müssen. – Wie nun unter solchen Einwirkungen die imaginative Erkenntnis sich entwickelt, und was sie für eine Beziehung zur geistigen Welt hat, davon soll in dem weiteren Verfolg dieses Aufsatzes gesprochen werden. |

  

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