Die Philosophie
Kurzverzeichnis der 35 in dieser Ausgabe enthaltenen Schriften:
IX. Die höhere Geisteswelt
AN, 73
Setzt man nun voraus, wie oben geschehen ist, daß die bildenden Kräfte für die Lebensorgane und die Anlagen für die Sinnesorgankräfte in der niederen Geisteswelt liegen, so ergibt sich für die in dieser Welt waltenden Gestaltungskräfte der Lebensorgane ein Unterschied zwischen solchen, welche einen verinnerlichten Stoff voraussetzen, und solchen, welche ihre Organe für die Aufnahme des Stoffes von außen gestalten. Man sieht leicht, daß die letzteren wieder die Voraussetzung der ersteren sind. Denn wäre nicht im Stoffe selbst die Möglichkeit gegeben, sich zu verinnerlichen, so könnte er nicht in sich selber zur Wirksamkeit kommen. Es müssen also im Stoffe solche Kräfte walten, welche ihn befähigen, aus dem ihm selbst Äußeren Gegenwirkungen hervorzurufen. Solche Gegenwirkungen des Stoffes auf sich selbst hat aber die obige Darstellung aufgewiesen. Der umgewendete Lebenssinn, Eigenbewegungs- und Gleichgewichtssinn tragen in sich die verborgene Möglichkeit, so zu wirken, daß sie, um innere Bildungen hervorzurufen, als Stoff selbst tätig sind, ohne die inneren Bildungsprinzipien als solche zu benutzen. Sie wirken ja nicht nur innerhalb, sondern außerhalb deren Maß. Denkt man sich nun diese drei umgewendeten Sinnestätigkeiten so wirksam, daß sie auf kein innerlich gebildetes Organ auftreffen, doch aber im Charakter ihrer Wirksamkeit verbleiben, dann gelangen sie an eine Grenze, wo sie in sich selber zurückkehren müssen. An dieser Grenze also würfe sich der Stoff in sich selber zurück; er hemmte sich in sich selber. An dieser Grenze wäre das gegeben, was man Stoffsein im Stoffsein nennen könnte. Und damit wäre auf die Möglichkeit hingewiesen, wie die Organe, welche inneren Stoff brauchen, aus einer Welt heraus entstehen, in welcher das Stofflich-Äußere zum Stofflich-Inneren wird. In dieser Welt müßten die ersten Anlagen liegen sowohl für diejenigen Organe des Lebensprozesses, welche durch verinnerlichten Stoff versorgt werden, wie auch für diejenigen, welche äußeren Stoff brauchen. Und es müßten in den Kräften, welche den äußeren Stoff zum Verinnerlichen bringen, schon die Anlagen für diese Verinnerlichung vorhanden sein. Wie die Kräfte in den Lebensorganen selbst auf eine Welt anderer Kräfte hinweisen, aus welcher die Lebensorgane erst gestaltet werden, so weisen die Lebensorgane mit innerlicher Stoffströmung auf Anlagen aus einer noch höheren Welt hin, aus der heraus sie gestaltet werden. Man wird dahin geführt, auf eine Außenwelt zu deuten, die in sich selber durch den Gegensatz von Lebenssinn, Eigenbewegungssinn und Gleichgewichtssinn eine Innenwelt entfachen kann. Diese Welt kann aber die ›höhere Geisteswelt‹ genannt werden. Was wäre in ihr zu suchen? Nicht Kräfte, welche Lebensorgane überhaupt gestalten, sondern solche, welche ihren Gebilden die Anlage einpflanzen, zu Lebensorganen zu werden. Diese Kräfte hat man sich aber als die Gegensätze des Gleichgewichtssinnes, des Eigenbewegungssinnes und des Lebenssinnes zu denken. Werden diese Kräfte, bevor sie an die Grenze ihrer Wirksamkeit gelangen, aufgehalten, durch innere Bildungsvorgänge an bereits in Gestaltung begriffenen Organen, so prägen sie aus solchen Organanlagen das Gehör-, Laut- und Begriffssinnesorgan. Was geschieht, wenn sie an die Grenze jener Tätigkeit gelangen, die in ihrem eigenen Charakter liegt? Wenn dem umgewendeten Lebenssinn nicht im Begriffsorgan etwas entgegenträte, das er nur umzubilden hat, dann würde er offenbar das Begriffserlebnis in sich selbst zurückführen. Und es würde in seiner Zurückstrahlung unmittelbar sich selbst gegenübertreten. Es wäre damit ein gleiches gegeben, wie es in einem Sinneserlebnis vorliegt, aber es hätte ein selbständiges Dasein, ohne zugrunde liegendes Sinnesorgan. Ein gleiches könnte für den umgewendeten Eigenbewegungs- und Gleichgewichtssinn gesagt werden. In der höheren Geisteswelt wären somit in sich selbst ruhende Sinneserlebnisse zu suchen, welche sich denjenigen Sinneserlebnissen verwandt erweisen, denen der Mensch in der physischen Welt mit seinem Ich am nächsten steht, den Erlebnissen des Begriffs-, Laut- und Gehörsinnes. Doch sind jene Erlebnisse so, als stünde nicht gleichsam vor ihnen ein menschliches Ich, und nehme sie auf, sondern so, als stünde hinter ihnen ein sie in der eigenen Tätigkeit schaffendes Wesen.
Anthroposophie