Die Philosophie
Kurzverzeichnis der 35 in dieser Ausgabe enthaltenen Schriften:
Sozialistische Entwickelungshemmungen
AD, 35-38
Ideen, die mit der Wirklichkeit rechnen, aus der die heutigen aufgeregten Menschheitsforderungen entsprungen sind, und die mit den Bedingungen im Einklang stehen, unter denen Menschen geistig, politisch und wirtschaftlich zusammenleben können, werden gegenwärtig übertönt von solchen, die nach beiden Richtungen hin lebensfremd sind. Die Menschen, die sich aus den bisherigen Lebensverhältnissen heraus nach anderen sehnen, oder die durch die Weltereignisse aus diesen Verhältnissen schon tatsächlich herausgerissen sind: sie waren bis jetzt den Kräften, welche diese Verhältnisse an die geschichtliche Oberfläche getrieben haben, so ferne gestanden, daß ihnen die Einsicht in die Wirkungsweise und Bedeutung dieser Kräfte gänzlich fehlt. Die proletarischen Massen verlangen, aus einem dumpfen Bewußtsein heraus, nach einer Änderung derjenigen Lebensverhältnisse, in welche sie sich versetzt sehen, und in denen sie eine Wirkung des von kapitalistischen Kräften verwalteten neueren Wirtschaftslebens sehen. Aber sie sind durch die Art ihrer bisherigen Mitarbeit an diesem Wirtschaftsleben nicht eingeweiht worden in die Wirkungsweise dieser Kräfte. Deshalb können sie nicht zu fruchtbaren Vorstellungen darüber kommen, in welchem Sinne diese Wirkungsweise eine Umwandlung erfahren muß. Und die intellektuellen |36 Führer und Agitatoren der proletarischen Massen sind verblendet durch theoretisch-utopistische Ideen, welche durchaus einer sozialen Wissenschaft entstammen, die sich noch an Wirtschaftsanschauungen orientierte, die einer Umwandlung dringend bedürfen. Diese Agitatoren haben noch nicht einmal ein ahnendes Bewußtsein davon, daß sie über Politik, Wirtschaft und Geistesleben keine anderen Gedanken haben, als die »bürgerlichen Denker«, die sie bekämpfen, und daß sie im Grunde nichts anderes anstreben, als die bisherigen Gedanken nicht von den Menschen verwirklichen zu lassen, die sie bis jetzt verwirklicht haben, sondern von anderen. Aber es entsteht nicht ein wahrhaft Neues dadurch, daß das Alte von anderen Menschen in einer etwas anderen Art als früher getan wird.
Zu den »alten Gedanken« gehört, das Wirtschaftsleben mit politisch-rechtlichen Machtmitteln beherrschen zu wollen. Dies ist deshalb ein »alter Gedanke«, weil er einen großen Teil der Menschheit in eine Lage gebracht hat, deren Unhaltbarkeit die Weltkriegskatastrophe tatsächlich erwiesen hat. Der neue Gedanke, durch den dieser alte ersetzt werden muß, ist: die Befreiung der Wirtschaftsverwaltung von jedem politisch-rechtlichen Machteinschlag; ist: die Leitung der Wirtschaft nach Richtlinien, die sich nur aus den Quellen der Wirtschaft und aus deren Interessen heraus ergeben.
Man könne sich doch eine Gestaltung des Wirtschaftslebens nicht denken, ohne daß die wirtschaftenden Menschen in politisch-rechtlichen Beziehungen dieses Leben abwickeln. So wird von Leuten eingewendet, die zu glauben vorgeben, wer von der Dreigliederung des sozialen Organismus rede, der habe keine Einsicht in eine solche Selbstverständlichkeit. In Wahrheit will aber derjenige, der diese Einwendung erhebt, nicht darüber eine Einsicht gewinnen, welche bedeutungsvolle Tragweite es für die Umwandlung des Wirtschaftslebens haben muß, wenn die in ihm waltenden politisch-rechtlichen Anschauungen und Einrichtungen nicht innerhalb der Wirtschaft selbst nach deren Interessen geregelt werden, sondern durch eine außerhalb ihrer stehende |37 Leitung, die sich nur von Gesichtspunkten bestimmen lassen kann, welche im Urteilsbereich jedes mündig gewordenen Menschen liegen. Wo liegt der Grund dafür, daß auch viele sozialistisch Denkende eine solche Einsicht nicht gewinnen wollen? Er liegt darin, daß sie durch ihre Teilnahme am politischen Leben sich wohl Vorstellungen gebildet haben über die Art, wie politisch-rechtlich geleitet wird, nicht aber wie die dem Wirtschaftsleben ureigenen Kräfte beschaffen sind. Deshalb können sie sich zwar ein Wirtschaften denken, dessen Leitung nach politisch-rechtlichen Verwaltungsgrundsätzen verfährt, nicht aber ein solches, das aus seinen eigenen Voraussetzungen und Bedürfnissen sich ordnet, und in das die von anderer Seite stammenden Rechtssatzungen hineinwirken. In einer Lage, die hiermit gekennzeichnet ist, sind die meisten Führer und Agitatoren des Proletariats. Ist dessen Masse durch die Tatsachen, die oben angeführt sind, ohne genügende Einsicht in die mögliche Umwandlungsform des Wirtschaftslebens, so sind dessen Führer nicht besser daran. Sie entfremden sich einer solchen Einsicht dadurch, daß sie ihr ganzes Denken aus dem Umkreis des Politischen nicht heraustreten lassen.
Eine Folge dieser Einspannung des Denkens in das einseitig Politische ist die Art, wie man auf verschiedenen Seiten die Einrichtung der Betriebsräte ins Leben rufen will. Das Streben nach einer solchen Einrichtung in der Gegenwart muß entweder im Sinne des gekennzeichneten »neuen Gedankens« erfolgen, oder es wird alle Arbeit, die auf dieses Streben gewendet wird, vergeudet sein. Der »neue Gedanke« aber verlangt, daß man in der Betriebsräteschaft eine erste Institution entstehen lasse, um die sich der »Staat« nicht kümmere, die sich bilden kann aus dem rein wirtschaftlichen Denken der am Wirtschaftsleben beteiligten Personen heraus. Und man überlasse es der in einer solchen Art entstehenden Körperschaft, die Anregung zu den Assoziationen zu geben, durch deren soziales Zusammenwirken in der Wirtschaft fortan geschehen soll, was vorher durch den egoistischen Wettbewerb Einzelner geschaffen worden ist. Auf |38 die freie soziale Zusammengliederung der einzelnen Produktions- und Konsumtionszweige kommt es an, nicht auf die Verwaltung von Zentralstellen aus nach politischen Verwaltungsgesichtspunkten. Um die durch solche Zusammengliederung geförderte wirtschaftliche Initiative der arbeitenden Menschen, nicht um deren Bevormundung durch Ämter und Oberämter handelt es sich. Ob eine Verwaltung nach politischen Gesichtspunkten durch ein Staatsgesetz über das Wirtschaftsleben gestülpt wird, oder ob von Menschen ein »Rätesystem« für die Wirtschaft ausgedacht wird, die nur nach politischen Gesichtspunkten denken und nur nach solchen Gesichtspunkten organisieren können: das läuft auf dasselbe hinaus. Es mag unter den letzteren Menschen sogar solche geben, die theoretisch eine gewisse Selbständigkeit des Wirtschaftslebens fordern; praktisch kann sich aus ihren Forderungen nur ein Wirtschaftssystem ergeben, das in ein politisches System eingeschnürt ist; denn es ist aus politischem Denken heraus geplant. In einer den gegenwärtigen Lebensbedingungen der Menschheit entsprechenden Weise wird man über eine solche Einrichtung nur denken, wenn man eine genaue Vorstellung davon hat, wie sich neben dem Wirtschaftssystem das staatlich-rechtliche und das geistige Glied des sozialen Organismus sachgemäß entwickeln sollen. Denn man wird sich ein Bild des selbständigen Wirtschaftslebens nur machen können, wenn man in der Gesamtgestalt des sozialen Organismus das an seinem rechten Orte sieht, was in dem Wirtschaftskreislauf nicht sein soll. Sieht man die rechten Orte für die Entfaltung des geistigen und des rechtlichen Lebens nicht, so wird man immer versucht sein, beides in irgendeiner Art mit dem Wirtschaftsleben zu verschmelzen.
In Ausführung
der Dreigliederung