Die Philosophie
Kurzverzeichnis der 35 in dieser Ausgabe enthaltenen Schriften:
IV
Das Seelenwesen
in Seelenmut und Seelenangst
SL, 24-28
Die Denkgewohnheiten, die in der neueren Naturerkenntnis zur Anerkennung gekommen sind, können in der Seelenerkenntnis keine befriedigenden Ergebnisse liefern. Was man mit diesen Denkgewohnheiten erfassen will, muss entweder in Ruhe vor der Seele sich ausbreiten, oder, wenn es in Bewegung ist, muss die Seele sich selbst aus dieser Bewegung herausgehoben fühlen. Denn die Bewegung des Erkannten mitmachen, heisst, sich an dieses verlieren, in dasselbe gewissermassen hinüberschlüpfen.
Wie aber soll die Seele sich in einer Erkenntnis erfassen, in der sie sich verlieren muss? Sie kann Selbst-Erkenntnis nur erwarten in einer Betätigung, in der sie sich selbst Schritt für Schritt gewinnt.
Das kann nur eine Betätigung sein, die schaffend ist. Aber da tritt für den Erkennenden sofort eine Unsicherheit ein. Er glaubt der persönlichen Willkür zu verfallen.
Diese Willkür ist es gerade, die er in der Naturerkenntnis dahingibt. Er schaltet sich aus und lässt die Natur in sich walten. Er sucht Sicherheit da, wo er mit dem seelisch-eigenen Wesen nicht hingelangt. In der Selbsterkenntnis kann er sich nicht so verhalten. Er muss sich überall dahin mitnehmen, wo er erkennen will. Er kann deshalb |25 auf seinen Wegen keine Natur finden. Denn wo sie ihm begegnen würde, da wäre er schon nicht mehr.
Das aber gibt gerade die Empfindung, die man dem Geiste gegenüber braucht. Man kann nichts anderes erwarten, als dass man ihn da findet, wo die Natur in der Selbstbetätigung gewissermassen dahinschmilzt. Wo man sich in dem Grade stärker fühlt, als man dieses Dahinschmelzen fühlt.
Erfüllt man daher die Seele mit etwas, das sich nachher so erweist wie der Traum in seinem Illusionscharakter, und erlebt man das Illusionäre in seinem vollen Wesen, dann erstarkt man im Eigenempfinden. Dem Traum gegenüber korrigiert man denkend den Glauben, den man an seine Wirklichkeit während des Träumens hat. In der Phantasietätigkeit hat man diese Korrektur nicht nötig, weil man diesen Glauben nicht hat. In der meditativen Seelenbetätigung, der man sich für die Geist-Erkenntnis ergibt, kann man sich mit der blossen Denk-Korrektur nicht zufrieden geben. Man muss erlebend korrigieren. Man muss das illusionäre Denken in einer Tätigkeit schaffen, und es dann in einer ebenso starken anderen Tätigkeit auslöschen.
In dieser auslöschenden Tätigkeit erwacht dann die andere, die geisterkennende Tätigkeit. Denn ist das Auslöschen ein wirkliches, dann muss die Kraft dazu von einer ganz anderen Seite kommen als von der Natur. Was diese geben kann, hat man in der erlebten Illusion verflüchtigt; was während der Verflüchtigung innerlich aufsteigt, ist nicht mehr Natur.
Bei dieser Betätigung muss sich etwas einstellen, das bei der Naturerkenntnis gar nicht in Frage kommt: innerlicher |26 Mut. Durch diesen muss man halten, was innerlich aufsteigt. In der Naturerkenntnis will man nichts innerlich halten. Man lässt sich von dem Äusseren halten. Man braucht den innerlichen Mut nicht. Man verlernt ihn daher an ihr. Dieses Verlernen bewirkt dann die Ängstlichkeit, wenn das Geistige in die Erkenntnis eintreten soll. Man hat Angst davor, dass man ins Leere greifen könnte, wenn man nicht mehr die Natur betasten soll.
Diese Angst steht an der Schwelle zur Geist-Erkenntnis. Und diese Angst bewirkt, dass man zurückzuckt vor dieser Erkenntnis. Und man wird nun, statt im Vorwärtsdringen, im Zurückzucken schöpferisch. Man lässt nicht den Geist in sich schaffende Erkenntnis gestalten; man erfindet sich eine Scheinlogik, die die Berechtigung der Geist-Erkenntnis bestreitet. Alle möglichen Scheingründe stellen sich ein, die es einem ersparen, das Geistige anzuerkennen, weil man in Angst vor ihm zurückbebt.
Statt der Geist-Erkenntnis steigt aus dem Schöpferischen, das nun einmal in der Seele erscheint, wenn diese von der Natur sich zurückzieht, die Feindin der Geist-Erkenntnis auf: zuerst der Zweifel an aller Erkenntnis, die über die Natur hinausliegt; und dann, wenn die Angst wächst, die Wider-Logik, welche alle Geist-Erkenntnis in das Gebiet des Phantastischen verweisen möchte.
Wer im Geist sich erkennend bewegen gelernt hat, der schaut in den Widerlegungen dieser Erkenntnis oftmals deren stärkste Beweise. Denn ihm wird klar, wie der Widerlegende Schritt vor Schritt seine Angst vor dem Geiste in der Seele hinunterwürgt, und wie er im Würgen seine Scheinlogik erzeugt. Mit einem solchen Widerlegenden ist |27 zunächst kaum zu reden. Denn die Angst, die ihn befällt, taucht im Unterbewussten auf. Das Bewusstsein will sich vor dieser Angst retten. Es fühlt zunächst, dass diese Angst, wenn sie käme, Schwachheit des Erlebens über das ganze innere Sein ausgiessen würde. Vor dieser Schwachheit kann die Seele allerdings nicht weglaufen; denn man fühlt sie aus dem Innern aufsteigen. Im Weglaufen würde man überall mitlaufen. Wer in der Natur-Erkenntnis weiterschreitet und in der Hingabe an sie das eigene Selbst bewahren muss, der fühlt immer, wenn er den Geist nicht anzuerkennen vermag, diese Angst. Sie wird mitlaufen, wenn er mit der Geist-Erkenntnis nicht auch die Natur-Erkenntnis einstellen will. Er muss sie im Weiterschreiten in der Natur-Erkenntnis irgendwie loswerden. In der Realität kann er das nicht. Denn sie erzeugt sich im Unterbewussten während des Natur-Erkennens. Sie will stets herauf aus dem Unterbewusstsein in das Bewusstsein. Deshalb widerlegt er in der Gedankenwelt, was er aus der Wirklichkeit des Seelen-Erlebens nicht fortschaffen kann.
Und diese Widerlegung: sie ist eine illusionäre Gedankenschicht über der unterbewussten Angst. Der Widerleger hat nicht den Mut gefunden, da, wo er die Illusion im meditativen Leben austilgen sollte, um zur geistigen Wirklichkeit zu kommen, dem Illusionären zu Leibe zu rücken. Deshalb schiebt er in diese nun auftauchende Region seines Seelenlebens die Scheingründe der Widerlegung hinein. Sie beruhigen sein Bewusstsein; er fühlt seine im Unterbewusstsein doch bleibende Angst nicht mehr.
Die Ableugnung der geistigen Welt ist ein Weglaufenwollen vor dem eigenen Seelenwesen. Das aber stellt eine |28 Unmöglichkeit dar. Man muss bei sich selber bleiben. Und weil man wohl weglaufen, aber nicht sich entlaufen kann, sorgt man dafür, dass man im Weiterlaufen sich nicht mehr sieht. Es wird aber mit dem ganzen Menschenwesen seelisch, wie es mit dem Auge wird, wenn es der Star ergreift. Das Auge kann dann nicht mehr sehen. Es ist in sich verfinstert.
So verfinstert der Widerleger der Geist-Erkenntnis seine Seele. Er bewirkt ihre Trübung durch die aus der Angst geborenen Scheingründe. Er meidet die gesunde Seelen-Erhellung; er schafft sich eine ungesunde Seelenverfinsterung. Die Ablehnung der Geist-Erkenntnis hat ihren Ursprung in der Starerkrankung der Seele.
So wird man zuletzt auf die innere geistige Stärke der Seele geführt, wenn man die Berechtigung der Geist-Erkenntnis durchschauen will. Und der Weg zu einer solchen Erkenntnis kann nur durch die Erkraftung des Seelenwesens führen. Die für die Geistes-Erkenntnis vorbereitende meditative Tätigkeit der Seele ist ein stufenweises Besiegen der »Angst vor dem Leeren« des Seelenwesens. Aber diese Leere ist nur eine »Leere der Natur«, in der sich die »Fülle des Geistes« offenbaren kann, wenn man sie ergreifen will. Und in dieser »Fülle des Geistes« taucht die Seele nicht mit der Willkür ein, die ihr eignet, wenn sie sich durch den Körper im Naturdasein betätigt; sie taucht in sie ein, indem ihr der Geist den schaffenden Willen zeigt, vor dem die nur innerhalb des Natürlichen bestehende Willkür so dahinschmilzt wie die Natur selbst.
Vom Seelenleben