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Kurzverzeichnis der 35 in dieser Ausgabe enthaltenen Schriften:

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Vorrede zur sechzehnten

bis zwanzigsten Auflage

GU, VII-XIII

Jetzt, nachdem fünfzehn Jahre seit dem ersten Erscheinen dieses Buches verflossen sind, darf ich wohl vor der Öffentlichkeit einiges sagen über die Seelenverfassung, aus der heraus es entstanden ist.

Ursprünglich war mein Plan, seinen wesentlichen Inhalt als letztes Kapitel meinem lange vorher erschienenen Buche »Theosophie« anzufügen. Das ging nicht. Dieser Inhalt rundete sich damals, als die »Theosophie« ausgeführt wurde, nicht in der Art in mir ab wie derjenige der »Theosophie«. Ich hatte in meinen Imaginationen das geistige Wesen des Einzelmenschen vor meiner Seele stehen und konnte es darstellen, nicht aber standen damals schon die kosmischen Zusammenhänge, die in der »Geheimwissenschaft« darzulegen waren, ebenso vor mir. Sie waren im einzelnen da, nicht aber im Gesamtbild.

Deshalb entschloß ich mich, die »Theosophie« mit dem Inhalte erscheinen zu lassen, den ich als das Wesen im Leben des Lebens eines einzelnen Menschen erschaut hatte, und die »Geheimwissenschaft« in der nächsten Zeit in aller Ruhe durchzuführen.

Der Inhalt dieses Buches mußte nach meiner damaligen Seelenstimmung in Gedanken gegeben werden, die für die Darstellung des Geistigen geeignete weitere Fortbildungen der in der Naturwissenschaft angewendeten Gedanken sind. Man wird es den hier wieder abgedruckten »Vorbemerkungen zur ersten Auflage« anmerken, wie stark ich mich |VIII mit allem, was ich damals über Geisteserkenntnis schrieb, vor der Naturwissenschaft verantwortlich fühlte.

Aber man kann in solchen Gedanken allein nicht das zur Darstellung bringen, was sich dem geistigen Schauen als Geistwelt offenbart. Denn diese Offenbarung geht in einen bloßen Gedankeninhalt nicht ein. Wer das Wesen solcher Offenbarung erlebend kennen gelernt hat, der weiß, daß die Gedanken des gewöhnlichen Bewußtseins nur geeignet sind, das sinnlich Wahrgenommene, nicht aber das geistig Geschaute, auszudrücken.

Der Inhalt des geistig Geschauten läßt sich nur in Bildern (Imaginationen) wiedergeben, durch welche Inspirationen sprechen, die von intuitiv erlebter geistiger Wesenheit herrühren. (Über das Wesen von Imagination, Inspiration und Intuition findet man das Notwendige in dieser »Geheimwissenschaft« selbst und in meinem Buche: »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten«.)

Aber der Darsteller der Imaginationen aus der Geistwelt kann gegenwärtig nicht bloß diese Imaginationen hinstellen. Er stellte damit etwas dar, das als ein ganz anderer Bewußtseinsinhalt neben dem Erkenntnisinhalt unseres Zeitalters, ohne allen Zusammenhang mit diesem, stünde. Er muß das gegenwärtige Bewußtsein mit dem erfüllen, was ein anderes Bewußtsein, das in die Geistwelt schaut, erkennen kann. Dann wird seine Darstellung diese Geistwelt zum Inhalte haben; aber dieser Inhalt tritt in der Form von Gedanken auf, in die er hineinfließt. Dadurch wird er dem gewöhnlichen Bewußtsein, das im Sinne der Gegenwart denkt, aber noch nicht in die Geistwelt hineinschaut, voll verständlich.

Diese Verständlichkeit bleibt nur dann aus, wenn man sich selbst Hindernisse vor sie legt. Wenn man die Vorurteile, die die Zeit aus einer falsch aufgefaßten Naturanschauung |IX von »Grenzen der Erkenntnis« sich gebildet hat, zu den eigenen macht.

Im Geisterkennen ist alles in intimes Seelenerleben getaucht. Nicht nur das geistige Anschauen selbst, sondern auch das Verstehen, das das nichtschauende gewöhnliche Bewußtsein den Ergebnissen des Schauenden entgegenbringt.

Von dieser Intimität hat keine Ahnung, wer in dilettantischer Art davon spricht, daß der, der zu verstehen glaubt, sich das Verständnis selbst suggeriert.

Aber es ist so, daß, was innerhalb des Begreifens der physischen Welt bloß in Begriffen als Wahrheit oder Irrtum sich auslebt, der geistigen Welt gegenüber Erlebnis wird.

Wer in sein Urteil nur leise empfindend die Behauptung einfließen läßt, das geistig Geschaute sei von dem gewöhnlichen, noch nicht schauenden Bewußtsein – wegen dessen Grenzen – nicht erfaßbar, dem legt sich dieses empfindende Urteil wie eine verfinsternde Wolke vor das Erfassen; und er kann wirklich nicht verstehen.

Aber dem unbefangenen nichtschauenden Bewußtsein ist das Geschaute voll verständlich, wenn es der Schauende bis in die Gedankenform hineinbringt. Es ist verständlich, wie dem Nichtmaler das fertige Bild des Malers verständlich ist. Und zwar ist das Verständnis der Geistwelt nicht das künstlerisch-gefühlsmäßige wie bei einem Kunstwerke, sondern ein durchaus gedankenmäßiges wie der Naturerkenntnis gegenüber.

Um aber ein solches Verständnis wirklich möglich zu machen, muß der Darsteller des geistig Geschauten seine Schauungen bis zu einem richtigen Hineingießen in Gedankenform bringen, ohne daß sie innerhalb dieser Form ihren imaginativen Charakter verlieren. |X

Das stand alles vor meiner Seele, als ich meine »Geheimwissenschaft« ausarbeitete.

1909 fühlte ich dann, daß ich mit diesen Voraussetzungen ein Buch zustande bringen könne, das: erstens den Inhalt meiner Geistesschau bis zu einem gewissen, aber zunächst genügenden Grade, in die Gedankenform gegossen, brachte; und das zweitens von jedem denkenden Menschen, der sich keine Hindernisse vor das Verständnis legt, verstanden werden kann.

Ich sage das heute, indem ich zugleich ausspreche, daß damals (1909) mir die Veröffentlichung des Buches als ein Wagnis erschien. Denn ich wußte ja, daß die geforderte Unbefangenheit gerade diejenigen nicht aufbringen können, die Naturwissenschaft beruflich treiben, und ebensowenig alle die zahlreichen Persönlichkeiten, die in ihrem Urteile von diesen abhängig sind.

Aber es stand gerade die Tatsache vor meiner Seele, daß in der Zeit, in der sich das Bewußtsein der Menschheit von der Geistwelt am weitesten entfernt hatte, die Mitteilungen aus dieser Geistwelt einer allerdringendsten Notwendigkeit entsprachen.

Ich zählte darauf, daß es auch Menschen gibt, die mehr oder weniger die Entfernung von aller Geistigkeit so schwer als Lebenshindernis empfinden, daß sie zu Mitteilungen aus der Geistwelt mit innerer Sehnsucht greifen.

Und die folgenden Jahre haben das ja voll bestätigt. Die »Theosophie« und »Geheimwissenschaft« haben als Bücher, die im Leser guten Willen voraussetzen, auf eine schwierige Stilisierung einzugehen, weite Verbreitung gefunden.

Ich habe ganz bewußt angestrebt, nicht eine »populäre« Darstellung zu geben, sondern eine solche, die notwendig macht, mit rechter Gedankenanstrengung in den Inhalt |XI hineinzukommen. Ich habe damit meinen Büchern einen solchen Charakter aufgeprägt, daß deren Lesen selbst schon der Anfang der Geistesschulung ist. Denn die ruhige, besonnene Gedankenanstrengung, die dieses Lesen notwendig macht, verstärkt die Seelenkräfte und macht sie dadurch fähig, der geistigen Welt nahe zu kommen.

Daß ich dem Buche den Titel »Geheimwissenschaft« gegeben habe, hat sogleich Mißverständnisse hervorgerufen. Von mancher Seite wurde gesagt, was »Wissenschaft« sein will, darf nicht »geheim« sein. Wie wenig bedacht war ein solcher Einwand. Als ob jemand, der einen Inhalt veröffentlicht, mit diesem »geheim« tun wolle. Das ganze Buch zeigt, daß nichts als »geheim« bezeichnet, sondern eben in eine solche Form gebracht werden sollte, daß es verständlich sei wie nur irgendeine »Wissenschaft«. Oder will man, wenn man das Wort »Naturwissenschaft« gebraucht, nicht andeuten, daß es sich um Wissen von der »Natur« handelt. Geheimwissenschaft ist Wissenschaft von dem, was sich insofern im »geheimen« abspielt, als es nicht draußen in der Natur wahrgenommen wird, sondern da, wohin die Seele sich orientiert, wenn sie ihr Inneres nach dem Geiste richtet.

»Geheimwissenschaft« ist Gegensatz von »Naturwissenschaft«.

Meinen Schauungen in der geistigen Welt hat man immer wieder entgegengehalten, sie seien veränderte Wiedergaben dessen, was im Laufe älterer Zeit an Vorstellungen der Menschen über die Geistwelt hervorgetreten ist. Man sagte, ich hätte mancherlei gelesen, es ins Unterbewußte aufgenommen und dann in dem Glauben, es entspringe aus dem eigenen Schauen, zur Darstellung gebracht. Aus gnostischen Lehren, aus orientalischen Weisheitsdichtungen usw. soll ich meine Darstellungen gewonnen haben. |XII

Man ist, indem man dieses behauptet hat, mit den Gedanken ganz an der Oberfläche geblieben.

Meine Erkenntnisse des Geistigen, dessen bin ich mir voll bewußt, sind Ergebnisse eigenen Schauens. Ich hatte jederzeit bei allen Einzelheiten und bei den großen Übersichten mich streng geprüft, ob ich jeden Schritt im schauenden Weiterschreiten so mache, daß vollbesonnenes Bewußtsein diese Schritte begleite. Wie der Mathematiker von Gedanke zu Gedanke schreitet, ohne daß Unbewußtes, Autosuggestion usw. eine Rolle spielen, so – sagte ich mir – muß geistiges Schauen von objektiver Imagination zu objektiver Imagination schreiten, ohne daß etwas anderes in der Seele lebt als der geistige Inhalt klar besonnenen Bewußtseins.

Daß man von einer Imagination weiß, sie ist nicht bloß subjektives Bild, sondern Bildwiedergabe objektiven Geistinhaltes, dazu bringt man es durch gesundes inneres Erleben. Man gelangt dazu auf geistig-seelische Art, wie man im Bereich der Sinnesanschauung bei gesunder Organisation Einbildungen von objektiven Wahrnehmungen richtig unterscheidet.

So hatte ich die Ergebnisse meines Schauens vor mir. Sie waren zunächst »Anschauungen«, die ohne Namen lebten.

Sollte ich sie mitteilen, so bedurfte es der Wortbezeichnungen. Ich suchte dann später nach solchen in älteren Darstellungen des Geistigen, um das noch Wortlose in Worten ausdrücken zu können. Ich gebrauchte diese Wortbezeichnungen frei, so daß wohl kaum eine derselben in meinem Gebrauch zusammenfällt mit dem, was sie dort war, wo ich sie fand.

Ich suchte aber nach solcher Möglichkeit, mich auszudrücken, stets erst, nachdem mir der Inhalt im eigenen Schauen aufgegangen war. |XIII

Vorher Gelesenes wußte ich beim eigenen forschenden Schauen durch die Bewußtseinsverfassung, die ich eben geschildert habe, auszuschalten.

Nun fand man in meinen Ausdrücken Anklänge an ältere Vorstellungen. Ohne auf den Inhalt einzugehen, hielt man sich an solche Ausdrücke. Sprach ich von »Lotosblumen« in dem Astralleib des Menschen, so war das ein Beweis, daß ich indische Lehren, in denen man den Ausdruck findet, wiedergäbe. Ja, sprach ich nur von »Astralleib«, so war dies das Ergebnis des Lesens mittelalterlicher Schriften. Gebrauchte ich die Ausdrücke: Angeloi, Archangeloi usw., so erneuerte ich einfach die Vorstellungen christlicher Gnosis.

Solches ganz an der Oberfläche sich bewegende Denken fand ich immer wieder mir entgegengehalten.

Auch auf diese Tatsache wollte ich gegenwärtig beim Wiedererscheinen der »Geheimwissenschaft« in neuer Auflage hinweisen. Das Buch enthält ja die Umrisse der Anthroposophie als eines Ganzen. Es wird daher vorzüglich betroffen von den Mißverständnissen, denen diese ausgesetzt ist.

Ich habe seit der Zeit, in der in meiner Seele die Imaginationen, die das Buch wiedergibt, in ein Gesamtbild zusammengeflossen sind, unausgesetzt das forschende Schauen in den Menschen, in das geschichtliche Werden der Menschheit, in den Kosmos usw. fortgebildet; ich bin im einzelnen zu immer neuen Ergebnissen gekommen. Aber, was ich in der »Geheimwissenschaft« vor fünfzehn Jahren als Umriß gegeben habe, ist für mich in nichts erschüttert worden. Alles, was ich seither sagen konnte, erscheint, wenn es an der rechten Stelle diesem Buche eingefügt wird, als eine weitere Ausführung der damaligen Skizze.

Goetheanum, 10. Januar 1925.

Rudolf Steiner. |

  

Die Geheimwissenschaft

im Umriss

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